Tom Regan
US-Amerikanischer Philosoph und Tierrechtsaktivist
*28.11.1938 Pensylvania
Philosophieprofessor von 1967 - 2001 an der North Carolina State University
Sein 1983 erschienenes Buch »The Case for Animal Rights« gehört zu den grundlegenden Werken der internationalen Tierrechtsbewegung
Tom Regan (geb. 1938) ist Professor für Philosophie an der North Carolina State
University in Raleigh. Sein 1983 erschienenes Buch »The Case for Animal Rights« gehört zu den grundlegenden Werken
der internationalen Tierrechtsbewegung
Dieses Interview wurde von Ingolf Bossenz in der Zeitung "Neues Deutschland" Ausgabe 26./27. August 2000 geführt.
Frage: Professor Regan, Sie gelten als international führender Philosoph in Sachen Tierrechte. Welche Rechte sollten Tiere denn Ihrer Meinung nach
erhalten?
A: Es geht eigentlich ganz schlicht um das fundamentalste moralische Recht eines jeden Individuums: das Recht, mit Respekt behandelt zu werden. Konkret heißt
das, Tiere haben hinsichtlich ihrer Beziehung zum Menschen ein Recht auf Leben, auf Freiheit und auf körperliche Unversehrtheit. Sie sind nicht auf der Welt, um uns als »Modelle« bei
Tierversuchen oder als »Waren« an der Fleischtheke zu dienen.
F: Warum sollten den Tieren denn solche Rechte zugestanden werden?
A: Weil ihr Körper, ihre Freiheit, ihr Leben ihnen selbst gehören und nicht uns. Weil die Tiere, die der Mensch isst, die er in der Wissenschaft benutzt, die
er jagt, fängt und auf vielfache andere Art und Weise ausbeutet, ein eigenes Leben führen. Dieses Leben ist für die Tiere von Bedeutung - unabhängig von ihrer so genannten Nützlichkeit für uns.
Niemand bestreitet, dass wir Menschen jemand sind und nicht etwas. Doch auch die Tiere sind jemand und nicht etwas. Die von uns geschundenen Tiere haben alle eine Biografie, nicht nur eine
Biologie.
F: Andererseits haben Menschen auch eine Biologie. Und dieser zufolge essen sie seit Urzeiten Tierfleisch.
A: Seit Urzeiten führen sie auch Kriege, ohne dass wir das mit diesem Argument verteidigen oder gar gutheißen. Nur beim Essen wird der Wilde mit Speer und
Faustkeil als Kronzeuge heutiger Barbarei bemüht. Aber die menschliche Entwicklung seit der Steinzeit ist in erster Linie eine kulturelle und keine biologische. Auch die Menschenrechte sind ein
Ergebnis dieser kulturellen Reifung. Es ist dem Menschen möglich, sein Leben zu leben, ohne Tiere auszubeuten, ohne Tiere zu essen, ohne Tiere für so genannte Unterhaltungszwecke zu
missbrauchen.
F: Der Begriff Tierrechte klingt sehr pauschal. Schließlich gibt es sowohl Affen wie Ameisen und eine Menge dazwischen.
A: Natürlich fällt uns die Entscheidung darüber leichter bei Tieren, die uns als Menschen näherstehen, wie es bei den Primaten der Fall ist. Aber es geht
hier um allgemeine moralische Grundsätze. Und deren Anwendung ist zunächst einmal unabhängig davon, ob ein Tier groß oder klein ist. Wenn wir uns darüber erst einmal im Klaren sind, wird
beispielsweise auch das achtlose Töten von Insekten in einem anderen Licht erscheinen.
F: Wann dürfen denn Ihrer Meinung nach Tiere überhaupt getötet werden?
A: Auf keinen Fall zum Zweck der Fleischproduktion und im Zusammenhang mit Tierversuchen. Aber wenn Tiere das Leben oder die Gesundheit von Menschen
bedrohen, haben wir natürlich auch das Recht, uns zu wehren und sie gegebenenfalls zu töten. Das kann in Notwehr sein, wie beim Angriff eines Kampfhundes. Oder es kann ein Notstand vorliegen, wie
im Falle einer Rattenplage. Das ist etwas vollkommen anderes als die Züchtung und Tötung von Pelztieren, um Mäntel herzustellen, oder die Mästung und Tötung von Kälbern, um besonders weißes
Fleisch auf dem Teller zu haben.
F: Immer wieder kommt es zu Gewaltaktionen so genannter Tierbefreier. Wie stehen Sie zu solchen Praktiken?
A: Jedes Tier im Käfig oder im Labor oder in einer Pelzfarm unterliegt der Gewalt des Menschen. Wenn alle Wege, die Lage dieser Tiere gewaltlos zu ändern,
vergeblich beschritten wurden, halte ich Gewalt, so zur Befreiung der Tiere, durchaus für gerechtfertigt. Wenn sie im Verhältnis steht zum beabsichtigten Zweck und wenn dabei nicht Leben oder
Gesundheit anderer gefährdet werden. Aber wer solche Aktionen durchführt, sollte auch offen dazu stehen: »Seht her, ich habe es getan, weil ich keine andere Möglichkeit sah.« Das ist für mich der
Geist von Gandhi, der von uns gefordert hat, Verantwortung zu übernehmen für unsere Handlungen.
F: Gilt nicht eher Albert Schweitzer mit seiner Philosophie von der »Ehrfurcht vor dem Leben« als klassischer Vorkämpfer für die Rechte der
Tiere?
A: Er wird in der Tat von vielen Tierrechtlern wie eine Kultfigur behandelt. Ich sehe ihn allerdings kritischer. Schweitzer hat zwar starke Worte gegen die
»Misshandlung der Kreatur« gefunden. Seine Auffassung vom »Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will« enthielt freilich auch den Aspekt, dass er sich selbst jederzeit das Recht
zugestand, Leben zu nehmen. Er aß Tiere, er experimentierte mit ihnen, er trug sie als Kleidung. Diese Seite Schweitzers verdrängen viele. Schweitzer hat unbestritten große humanistische
Verdienste und er hat sehr hohe Ideale geprägt. Hinsichtlich der Tierrechte jedoch gab er den Menschen kaum Veranlassung, ihre Lebensweise zu ändern.
F: Schweitzer hatte eine christlich-religiös geprägte Sicht auf das Verhältnis Mensch-Tier. Welche Bedeutung messen Sie der Religion in dieser Frage
bei?
A: Sie ist zweifellos sehr wichtig für viele Menschen. Denn die religiösen Aussagen sind Orientierungen im Verhalten. Wenn gepredigt wird, Gott habe uns die
Tiere gegeben, damit wir uns ihrer bedienen, wie es die katholische Kirche tut, ist das sehr zum Schaden der Tiere. Heißt es hingegen, Gott habe uns geschaffen, damit wir für die Tiere sorgen und
die Erde erhalten, sind die Folgen positiv. Es gibt da sehr viel Widersprüchliches, auch in der Bibel. So steht in der Genesis: »Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen,
die Samen bringen auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.« Von Fleisch und Tieren ist dort keine Rede. Erst nach der Sintflut heißt es: »Furcht und
Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer; in eure Hände seien sie
gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch gegeben.« Während die vegetarischen Speisegebote weitgehend geleugnet wurden und werden, dient
diese Passage noch heute zur religiösen Rechtfertigung nicht nur des Fleischverzehrs, sondern jeglicher Ausbeutung von Tieren. Dabei gibt es im Alten Testament wiederum Stellen, die das
Fleischessen lediglich als Zugeständnis werten, so die Unantastbarkeit des Blutes. Es gab also durchaus das Bewusstsein der Lebensverletzung. Doch obwohl die Bibel bei der Tötung der Tiere
zumindest noch ein letztes Tabu und ein schlechtes Gewissen bewahrte, haben die Tiere unter dem Christentum stets leiden müssen.
F: Sind Sie ein gläubiger Christ?
A: Ich glaube, dass Jesus ein Revolutionär war. Er war ein Repräsentant für unsere Hoffnungen auf Gott. Doch das waren auch andere historische Personen. Aber
ebenso wie Menschenrechte müssen Tierrechte universell sein und unabhängig von religiösen oder anderen Anschauungen gelten. Obwohl die Zeit der Tieropfer vorbei sein sollte, gibt es leider noch
immer Beispiele für das grausame Töten von Tieren aus angeblich religiösen Gründen.
F: Es liegt doch genug bei den Menschenrechten im Argen. Müssen nicht erst einmal diese durchgesetzt werden?
A: Es muss beides geschehen. Denn letztlich liegen der Unterdrückung und Ausbeutung Schwächerer stets dieselben Muster zugrunde - egal, ob es sich um
ethnische Minderheiten, um Frauen oder Kinder handelt - oder um Tiere.
F: Eine extreme Ansicht.
A: Ich bin Extremist. Wenn es um Vergewaltigung, Kindesmissbrauch oder Rassismus geht. Wenn es um die Ungerechtigkeit gegenüber den Tieren geht. Und ich
kämpfe für ein Ende des gegenseitigen Abschlachtens der Menschen in Kriegen. Das hat mir seinerzeit übrigens auch die Augen für die Lage der Tiere geöffnet.
F: Eine erstaunliche Verbindung.
A: Auf den ersten Blick, ja. Meine Frau Nancy und ich waren während der 60er Jahre in North Carolina in der Bewegung gegen den Vietnamkrieg aktiv. Damals
gehörten Schriften von Mahatma Gandhi zu unserer bevorzugten Lektüre. Sie forderten uns heraus, über unser Leben nachzudenken. Auch über unsere Ernährung. Fleisch galt als Symbol von Kraft und
Erfolg. Während meiner College-Zeit hatte ich sogar bei einem Fleischer gearbeitet, um mir ein paar Dollar zu verdienen. Und nun, wo wir gegen die ungerechte Gewalt in Vietnam protestierten,
hatten wir gleichzeitig die Resultate von ungerechter Gewalt auf unserem Teller - als Steaks und Roastbeef. Und Gandhi fragte uns sinnbildlich: »Was machen diese Leichenteile in eurem
Kühlschrank?« Da wurde mir klar, dass auch die Gabel eine Waffe der Gewalt ist. Als der Krieg in Vietnam endlich vorbei war, wurde der Krieg des Menschen gegen die Tiere unser
Thema.
F: Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Einsatz gegen diesen Krieg?
A: Die Ungerechtigkeit abzuschaffen, die den Tieren angetan wird. Und zwar kompromisslos. Wir fordern keine größeren und saubereren Käfige in den
Versuchslabors, sondern leere Käfige. Wir wollen keine »artgerechte« Tierhaltung in der Landwirtschaft mit mehr Platz in den Tiergefängnissen, sondern das vollständige Ende des kommerziellen
Handels mit dem Fleisch toter Tiere. Wir verlangen keine »humaneren« Jagdmethoden und Fallen, sondern das definitive Ende dieser barbarischen Praktiken.
F: Ist das nicht überzogen?
A: Wir sind Revolutionäre. Wir wollen nicht nur den Staub aus den Ecken kehren, sondern das gesamte Haus umbauen.
F: Sozusagen eine Revolution, die auf dem Teller beginnt?
A: Und sie beginnt für jeden Einzelnen zu seiner Zeit. Wenn er nämlich begriffen hat, dass Tiere kein Belag für Sandwich und Big Mac sind, dass sie ein Recht
auf Leben und Freiheit haben und nicht zwischen zwei Scheiben Brot gehören.
F: In Deutschland und anderen Ländern setzen sich bereits viele Menschen für Verbesserungen ein, so bei Tiertransporten oder in der
Massenhaltung.
A: Diese Menschen verdienen Achtung für das, was sie tun. Aber wenn wir den Käfig ein wenig größer machen, wie bei den Legehennen, bleibt der Kreatur weiter
das Recht auf Freiheit verwehrt.
F: Ist denn nicht jeder Fortschritt zu begrüßen, der die Lage der Tiere verbessert? Sei er auch noch so klein?
A: Wenn Sie genau hinsehen, verbessern die meisten dieser Reformen nicht die Situation der Tiere, sondern dienen zur Beruhigung der kritischen
Öffentlichkeit. Nicht die Käfige vergrößern, sondern sie endlich wegschmeißen! Wissen Sie, in meiner Kindheit gab es für mich eine bezeichnende Episode. Wegen eines Sehfehlers ging ich regelmäßig
zur Augenüberprüfung. Dabei musste ich durch ein doppeltes Linsensystem sehen: Rechts war ein Vogel, links ein Käfig. Der Sinn der Übung war, den Vogel in den Käfig zu bekommen. Das habe ich nie
geschafft.
F: Die meisten Menschen haben damit keine Probleme. Wie wollen Sie bei denen die Idee der Tierrechte populär machen?
A: Als Frederick Douglass, einer der Wegbereiter der Sklavenbefreiung in den USA, 78-jährig im Februar 1895 im Sterben lag, fragte ihn sein engster
Mitarbeiter, was für ihn das wichtigste Instrument in seinem Kampf gewesen sei. Douglass antwortete: Man muss die Menschen erstens aufklären, zweitens aufklären und drittens noch einmal
aufklären. Was Douglass zur Bewegung gegen die Sklaverei sagte, gilt auch für die Tierrechtsbewegung. Vor 30 Jahren galten Tierrechtler noch als verrückte Randgruppe. Heute gibt es weltweit
zahlreiche Organisationen mit hunderttausenden Mitgliedern. Wir müssen die Menschen mit Geduld und Argumenten überzeugen. Wenn wir sie anschreien, hören sie uns nicht.
F: Die weitaus größte Zahl an Tieren stirbt für Nahrungszwecke, weltweit rund 20 Milliarden jährlich, Fische nicht mitgerechnet. Dagegen dümpelt die Zahl der
Vegetarier im einstelligen Prozentbereich. Wie wollen Sie das ändern?
A: Mit dem Instrument, das auch Douglass benutzte. Wir müssen die Menschen aufklären - nicht nur darüber, was sie den Tieren antun. Wir müssen ihnen zeigen,
wie schädlich Fleisch für ihre Gesundheit ist, welche immensen Umweltschäden die Fleischerzeugung per Massenhaltung und Tierfabriken hervorruft. Und wie dadurch die Ungerechtigkeit in der Welt
zementiert wird. Es gibt ein geflügeltes Wort: Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen. Indirekt verzehrt ein Viertel der Menschheit über das Fleisch rund 40 Prozent der Welternte an
Getreide. Die Dritte Welt wird zur Weidefläche für das Vieh der Industriestaaten degradiert. Nehmen Sie Mexiko, das die USA nach wie vor als Hinterhof betrachten. Das Land verfüttert ein knappes
Drittel seines Getreides an Rinder, die dann in den USA beispielsweise bei McDonald's über die Theke gehen. Über ein Fünftel der mexikanischen Bevölkerung dagegen ist unterernährt. Ich nenne das
Hamburger-Kolonialismus.
F: Glauben Sie, dass der Tag kommen wird, an dem alle Tiere befreit sind?
A: Die Ungerechtigkeit, die den Tieren geschieht, vergleiche ich gern mit einer Mauer, die ihr Leben einengt. Jeder Erfolg der Tierrechtsbewegung bricht
einen weiteren Stein aus dieser Mauer. Und eines Tages wird sie fallen, wie andere Mauern in der Geschichte gefallen sind.